Ein Jubiläum! 80 Jahre Geisterbahn in Wien, wenn nicht auf der ganzen Welt! Zwei Reporter hauen sich in den windigen Wurstelprater und suchen nach den Ursprüngen des Wiener Horrors. Ein Jubiläumsbeitrag vom Ort des Grauens.
Von Markus Schauta und Matthias Hütter
10. Mai, 16:00
„Kolnhofer?“ – „Guten Tag, Hütter spricht, vom Magazin über.morgen.“ – „Jo?“ – „Wir wollen eine Reportage über Geisterbahnen in Wien bringen. Haben Sie Zeit für ein Interview?“ – „Wos woin S’ n do wissn?“ – „Das Geisterschloss ist die älteste Geisterbahn Österreichs. Sie als Betreiberin können uns da sicher Genaueres erzählen …“ – „Jo und von mir, wos woin S´ n do genau wissen?“ – „Alles rund um die Entstehung und den Betrieb der Geisterbahnen im Prater. Die erste Wiener Geisterbahn eröffnete ja bereits 1933 und wird von manchen sogar als die erste ‚typische’ Geisterbahn weltweit angesehen. Und diese Bahn hieß ja auch Geisterschloss …“ – „Des woa vor meiner Zeit. Wir hom die Bohn 1955 übernommen. Die oide Bohn woa a poa Meter weiter, wo genau, des waß i ned. Oba zur Gschicht von uns steht jo eh alles online.“ – „Aber das zum Beispiel steht nicht online … Und vielleicht könnten Sie uns eine Führung ins Innere der Bahn geben, hinter die Kulissen …“ – „Do kennan S’ damit foan. Donn siacht ma eh alles … I tät Ihnen folgendes vorschlagen: Gengan S’ amoi in’ Proda und foan S’ mit olle Geisterbohnan, damit S’ amoi wissn, um wos dass do überhaupt geht. Weil de san nämlich ned olle gleich. Do is a jede vollkommen ondas. Und donn, wonn S’ mit olle gfoan san, donn ruafn S’ mi noch amoi on und donn moch ma si an Termin aus.“ – „Okay, das klingt sehr vernünftig …“ – „Najo, wia gsogt: Foan S’ amoi mit olle, donn schau ma weiter.“ – „Vielen Dank für den Tipp, ich werd mich wieder bei Ihnen melden.“ – „Mochn S’ des. Auf Wiedahean.“
19. Mai
18:00, Prater-Vorplatz (MH)
„Cheeeeese!“, sag ich laut und versuch so etwas wie ein motivierendes Lächeln auf meine Visage zu zaubern. „One more please“, meint der Tourist, nachdem er das erste Resultat inspiziert hat und bedeutet mir, dass er gerne das ganze Riesenrad mit drauf hätte. Und ja, tatsächlich geh ich in die Knie. Der Fotomensch posiert mit seiner Freundin, ich sag „Cheeeeese“, er gibt ihr ‘nen Kuss und ich drück ab. Der Küsser unternimmt die nächste Fotoinspektion. Ich hau ab.
Am sündhaft teuer auf billige Outlet-City gestylten Prater-Vorplatz. Durchkomponierte Geschmacklosigkeit. Stimmig bis ins kleinste Detail. Ich sitze am Unterbau der zentralen Statue und warte auf Markus, der noch ins Pratermuseum wollte. Aus dem Sockel wummert mir die Baseline von billigen Strauß-Walzern das letzte Wurstsemmerl hoch. Kurz mal aufstehen. Die Schwerkraft tut ihren Job. Jetzt geht’s wieder. Die Leute posieren. Das Riesenrad dreht sich. Ich denk mir, dass ich mir nichts denken soll …
Wir schreiben das Jahr 1933 und der Friedrich Holzdorfer, alias Praterkönig, erfindet die Geisterbahn. Im Wurstelprater. Bam! Faktum. 2013 – wir feiern 80 Jahre Geisterbahn! Weltweit, sagen die Österreicher, das heißt also zumindest österreichweit. Was für ein Teufel wird ihn wohl geritten haben, den Praterkönig, als er sie erdacht hat? War’s ein Alptraum, eine dunkle Vorahnung? Wollte er die Leute auf kommende Zeiten vorbereiten? Emotional abhärten? Werden wir nie herausfinden. Memoiren hat er keine hinterlassen …
„Foto?“, fragt eine Touristin und hält mir ihre winzige Digitalkamera hin. Da! Erlösung. Markus spaziert durch den pappigen Eingangsbogen. Ab geht’s zur Geisterbahn …
18:00, Prater-Vorplatz (MS)
Ein Foto von der ersten Geisterbahn aus dem Jahr 1933 suche ich vergebens im Pratermuseum. Statt dessen lockt ein Plakat aus dem vorvorigen Jahrhundert mit „Lebenden Ungeheuerlichkeiten und menschlichen Abnormitäten“: Das mooshaarige Mädchen, der menschliche Vogel Strauß, der hartköpfige menschliche Ambos und Jo-Jo, der Pudelmensch. Sie waren die Attraktionen im Wiener Prater bevor der große Krieg Legionen von Menschen verkrüppelte und die Abnormitäten-Schauen wohl irgendwie an Reiz verloren.
Heute wäre Jo-Jo der Pudelmensch sozial- und pensionsversichert. Und damals? Das Internet gibt sein Wissen am Bildschirm meines Smartphones preis: Im 19. Jahrhundert waren die „Ungeheuerlichkeiten“ von Leuten wie dem US-Amerikaner Theodore Lent abhängig, der mit seiner Kuriositätenschau durch Europa tingelte. Seine Attraktion war die Mexikanerin Julia Pastrana: Keine 1,40 Meter groß, Haare am ganzen Körper, mit großen Ohren und einer breiten Nase wurde sie dem Publikum als „hässlichste Frau der Welt“ vorgeführt.
Lent zeugte ein Kind mit der „Affenfrau“, sie und ihr Sohn starben wenige Tage nach der Geburt. Der geschäftstüchtige Lent ließ die beiden ausstopfen. Mit Leichengrinsen und rotem Flitterkleid, neben ihr das behaarte Kind, konnten sie fortan im Prater begafft werden. Nach den Wirren des Zweiten Weltkrieges gelangte der ausgestopfte Leichnam nach Norwegen, wo er bis 1970 ausgestellt wurde, bevor man ihn 2013 nach Mexiko überstellte.
Im Prater blühen wieder die Bäume, hinter Büschen versteckte Lautsprecher dudeln Musik von Johann Strauß. Vor dem Riesenrad fotografiert Matthias ein japanisches Pärchen beim Schmusen.
[…]
Die ganze Story gibt’s im über.morgen-Magazin 2/2013 nachzulesen